Pera-Frangissa • Kampagne 2022

Anti­ke Hei­lig­tü­mer waren kom­ple­xe und viel­schich­tig genutz­te Area­le, die nicht nur Ein­rich­tun­gen für ritu­el­le Prak­ti­ken boten, son­dern auch vie­le sozia­le, poli­ti­sche und wirt­schaft­li­che Funk­tio­nen erfüll­ten. Das gilt auch für die Kult­plät­ze im anti­ken Zypern, doch sind die­se Mecha­nis­men hier –anders als etwa im anti­ken Grie­chen­land – bis­lang ver­gleichs­wei­se wenig unter­sucht wor­den. Mit den Ergeb­nis­sen den neu­en Gra­bungs­kam­pa­gne im Apol­lon­hei­lig­tum von Fran­gis­sa kön­nen nun erst­ma­lig für die­ses länd­li­che Hei­lig­tum eine mas­si­ve räum­li­che und ver­mut­lich auch funk­tio­na­le Aus­bau­pha­se in hel­le­nis­ti­scher Zeit gegrif­fen wer­den. Sie deu­tet an, wel­chen dyna­mi­schen Ver­än­de­rungs­pro­zes­sen und mas­si­ven struk­tu­rel­len Ein­grif­fen auch länd­li­che Hei­lig­tü­mer Zyperns in die­ser Zeit unter­la­gen. Die wei­te­re Erfor­schung die­ses Kom­ple­xes bie­tet daher ein unge­ahn­tes Poten­ti­al – nicht nur für unse­re Kennt­nis des Ortes selbst, son­dern für zypri­sche Hei­lig­tü­mer generell. 

Bereits in der ers­ten von Amricha geför­der­ten Gra­bungs­kam­pa­gne im Jah­re 2021 waren ers­te anti­ke, bau­li­che Struk­tu­ren zu Tage getre­ten, die die bis­lang nur auf Sur­vey­da­ten beru­hen­de Loka­li­sie­rung des Hei­lig­tums von Fran­gis­sa bestä­tig­te. Mit Fort­set­zung der Gra­bungs­ak­ti­vi­tä­ten und der 5‑wöchigen Kam­pa­gne 2022 ver­tief­te das Team der Uni­ver­si­tä­ten Frank­furt und Kiel unter der Lei­tung von Mat­thi­as Recke und Phil­ipp Kobusch die Erfor­schung die­ser Struk­tu­ren. Erneut wur­den die Arbei­ten finan­zi­ell und per­so­nell durch Amricha unter­stützt. Hin­zu kam eine För­de­rung des Exzel­lenz­clus­ters ROOTS der CAU Kiel.

Grö­ßer als gedacht — Umfang und Struk­tur des Heiligtums

Die neu­er­li­chen Gra­bun­gen erwei­tern das Wis­sen über das 2021 ent­deck­te Gebäu­de erheb­lich. Es han­delt sich um die archi­tek­to­ni­sche Umfas­sung eines offe­nen Bezirks von min­des­tens 12 x 17 m. Die Wän­de bestehen aus sehr sorg­fäl­tig gesetz­ten, bis zu 1,20 m hohen Stein­so­ckeln, die bis zur obe­ren Abschluss­kan­te weit­ge­hend intakt erhal­ten sind und die als Sockel für auf­ge­hen­des, heu­te nicht mehr erhal­te­nes Lehm­zie­gel­mau­er­werk dien­ten. Der Fuß­bo­den des Are­als bestand aus einem sorg­fäl­tig zuge­rich­te­ten, pla­nen Stampf­lehm­bo­den, der trotz sei­ner Emp­find­lich­keit par­ti­ell erhal­ten ist.

Die Errich­tung die­ses Kom­ple­xes kann nach der­zei­ti­gem Stand in hel­le­nis­ti­sche Zeit datiert wer­den. Nach Errich­tung wur­de der Bezirk jedoch suk­zes­si­ve ver­än­dert. So wur­den in einer spä­te­ren Pha­se kur­ze Quer­mau­ern ein­ge­zo­gen. Sie ste­hen mög­li­cher­wei­se in Ver­bin­dung zu einem fla­chen stei­ner­nen Sockel, der in einer spä­te­ren Pha­se errich­tet, par­al­lel zu den Umfas­sungs­mau­ern läuft. Beim der­zei­ti­gen Stand der Gra­bung ist er ver­mut­lich als Auf­la­ger für Stüt­zen zu inter­pre­tie­ren, die das Dach einer all­sei­tig umlau­fen­den Hal­le tru­gen. Mit die­ser Maß­nah­me wur­de also die Nut­zungs­mög­lich­keit des Hofes wei­ter aus­dif­fe­ren­ziert. Denk­bar wäre zum Bei­spiel, dass hier beson­ders wert­vol­le Voti­ve vor der Wit­te­rung geschützt wer­den sollten.

Gegen Ende der Gra­bung wur­de in unmit­tel­ba­rer Nach­bar­schaft des Hof­are­als eine gestuf­te Struk­tur aus sorg­fäl­tig behaue­nen Qua­dern ent­deckt. Blö­cke die­ser Grö­ße und Qua­li­tät sind aus Fran­gis­sa bis­lang nicht bekannt gewe­sen. Nicht nur die Zurich­tung, son­dern auch das ver­wen­de­te, impor­tier­te Mate­ri­al heben die­sen Befund her­aus: Übli­cher­wei­se sind alle archi­tek­to­ni­schen Struk­tu­ren des Hei­lig­tums aus dem lokal anste­hen­den Kalk­stein gefer­tigt. Hier ist dem­nach ein exzep­tio­nel­les Monu­ment zu grei­fen, des­sen voll­stän­di­ge Frei­le­gung in einer spä­te­ren Kam­pa­gne unse­re Kennt­nis der Hei­lig­tums­aus­stat­tung deut­lich erwei­tern wird. Dass die­ses Monu­ment nun außer­halb der neu erschlos­se­nen Hof­an­la­ge liegt, zeigt, dass das im Hei­lig­tums­kon­text genutz­te Are­al sogar noch wesent­lich umfäng­li­cher war.

Auch wenn die genaue Anbin­dung des hel­le­nis­ti­schen Hofs an die Alt­gra­bun­gen und damit an den bereits im 19. Jahr­hun­dert ent­deck­ten Kern­be­reich des Hei­lig­tums der­zeit noch unklar ist, ist eine Funk­ti­on im Zusam­men­hang mit dem Hei­lig­tum durch die rei­chen Fun­de, etwa von Votiv­fi­gu­ren, ein­wand­frei nach­ge­wie­sen. Der Kern des Hei­lig­tums, den Max Ohne­falsch-Rich­ter 1885 doku­men­tier­te, bestand eben­falls aus einem offe­nen Hof, in dem in die­sem Fall aber ein über­dach­ter Kult­bau plat­ziert war. Die­ser Teil des Hei­lig­tums muss, nach Aus­sa­ge der dort gemach­ten Fun­de, noch aus archai­scher Zeit stam­men. Mit den neu­ge­fun­de­nen Struk­tu­ren kann erst­ma­lig für das Hei­lig­tum von Fran­gis­sa eine grö­ße­re Aus­bau­pha­se nach­ge­wie­sen wer­den, die das bebau­te Are­al und damit die Nut­zungs­mög­lich­kei­ten des Hei­lig­tums in hel­le­nis­ti­scher Zeit deut­lich erwei­ter­ten: Das hel­le­nis­ti­sche Hei­lig­tum ist mehr als dop­pelt so groß als bis­lang bekannt gewe­sen war.

Scher­ben brin­gen Glück und bedeu­ten­de Erkennt­nis­se

Ein beson­ders schö­nes Ergeb­nis lie­fer­te zudem der Fund eini­ger, auf den ers­ten Blick recht unschein­ba­rer Ter­ra­kot­ta-Frag­men­te. Sie gehö­ren zu einer über­le­bens­gro­ßen männ­li­chen Ter­ra­kot­ta­fi­gur, die wie der bekann­te Koloss von Tam­assos im Cyprus Muse­um (der aus dem­sel­ben Hei­lig­tum stammt) aus meh­re­ren Ein­zel­tei­len zusam­men­ge­steckt wur­de. Das Gewand war mit ein­ge­ritz­ten Orna­men­ten reich geschmückt. Ähn­li­che Frag­men­te waren bereits 1885 gefun­den und ins Muse­um von Nico­sia ver­bracht wor­den. Die neu gefun­de­nen Frag­men­te pas­sen nun Bruch an Bruch an die­se alten Frag­men­te an. Damit ist die Iden­ti­fi­zie­rung des Hei­lig­tums mit dem 1885 aus­ge­gra­be­nen Fund­platz, die bis­lang aus einer Viel­zahl an Indi­zi­en erschlos­sen wur­de, end­gül­tig gesichert.

Die geplan­te Fort­set­zung der Gra­bung 2023 wird die Funk­ti­on des Hofes erfor­schen – gera­de über die Nut­zung der inne­ren Frei­flä­che ist bis­lang wenig bekannt. Vor allem aber soll durch die Loka­li­sie­rung der Alt­gra­bung die genaue Anbin­dung die­ses Erwei­te­rungs­baus zum Hei­lig­tums­kern unter­sucht wer­den. Erst dann kann das Funk­tio­nie­ren des Gesamt­hei­lig­tums und das Zusam­men­spiel der ein­zel­nen funk­tio­na­len Tei­le bes­ser ver­stan­den werden.