Im Jahr 2020 war es Forschern der Universitäten Frankfurt und Kiel gelungen, im Rahmen eines archäologischen und geophysikalischen Survey das lange verschollene antike Apollon-Heiligtum von Tamassos-Frangissa in einem Tal unweit der Ortschaft Pera Orinis zu lokalisieren. Bereits diese erste erfolgreiche Kampagne war sowohl finanziell, als auch personell von AMRICHA unterstützt worden.
Als Fortsetzung dieser erfolgreichen Zusammenarbeit fand 2021 nun die erste Ausgrabungskampagne in diesem Areal statt. Ziel der aktuellen Aktivitäten ist zum einen die Wiederaufdeckung der 1885 entdeckten Architektur, um die in situ verbliebenen antiken Reste nach modernen wissenschaftlichen Standards zu dokumentieren und Fragen zur Baugeschichte zu klären. Zum anderen soll die Grabung auch auf bislang nicht untersuchte Bereiche ausgeweitet werden, um eine gesicherte stratigraphische Abfolge der Nutzungsphasen zu erfassen und so exemplarisch das Funktionieren eines antiken ländlichen Heiligtums auf Zypern über einen größeren Zeitraum – in dem Fall von der Archaik bis in den Hellenismus hinein – nachvollziehen zu können.
Die Grabung fand vom 18.9. bis 22.10.2021 im Rahmen einer Field-School unter der Leitung von Dr. Matthias Recke (Universität Frankfurt) und PD Dr. Philipp Kobusch (Universität Kiel) statt. Parallel zum wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn verfolgte das Projekt auf diese Weise auch das Ziel, den teilnehmenden Studierenden aus Deutschland, Italien und Zypern grundlegende Kenntnisse in der Ausgrabungstechnik und (digitalen) Dokumentation zu vermitteln sowie die Grundzüge der kyprischen Archäologie näher zu bringen. Auch in dieser Kampagne bot AMRICHA substantielle Unterstützung: Mag. Phil. Irene Pamer M.A. und Alexander Gatzsche M.A. haben die restauratorische und konservatorische Betreuung des Projektes übernommen; letzterer hat auch technische Unterstützung bei den Vermessungs- und Digitalisierungsarbeiten geleistet.
Ermöglicht wurde das Projekt durch die freundliche Genehmigung des Departments of Antiquities Cyprus, das die Arbeiten in vielerlei Hinsicht gefördert und unterstützt hat. Insbesondere ist der Direktorin des Antikendienstes, Frau Dr. Marina Solomidou-Ieronymidou und dem Leiter des Ausgrabungswesens, Dr. Giorgos Georgiou zu danken, der auch den Transport der großformatigen Funde ins Cyprus Museum organisierte.
Die ersten Meter in die Vergangenheit
Die neuen Grabungen konzentrieren sich zunächst auf ein Areal im Süden des das Tal durchziehenden Flüsschens. Hier wurde ein georeferenziertes Messfeldnetz mit Quadranten im Raster von 5 x 5 m angelegt, in denen insgesamt 6 Schnitte unterschiedlicher Größe geöffnet wurden, die jeweils unterschiedlichen Fragestellungen folgten. Sie dienten unter anderem der Überprüfung und Verifizierung der Ergebnisse aus der vorhergehenden Sondierungskampagne und der Klärung der antiken topographischen Zusammenhänge.
Bei den Ausgrabungen konnte eine Reihe antiker Mauern dokumentiert werden. Es handelt sich um teils sehr lange Mauerzüge, die in nachweisbarer Verbindung zueinander stehen und größere Raumfluchten bilden. Sie gehören zu einem mindestens 8 x 11 m großen Gebäude unbekannter Funktion. Ihr antiker Ursprung kann als gesichert angesehen werden. Das wird zum einen durch die Technik bewiesen, die sich von den umgebenden Terrassen- und Hangmauern unterscheidet. Zum anderen konnten etliche ungestörte, eindeutig antike Schichten im Zusammenhang mit diesen Mauern erfasst werden. Funde, die für eine nachantike Siedlungsnutzung des Areals sprechen würden, wurden dagegen keine gemacht. Allerdings sind vielfach antike, nachantike und rezente Eingriffe in den Boden erkennbar, die die originalen antiken Befunde stören. Darunter befand sich ein geradlinig verlaufender, tiefer Graben, der in den felsartig verhärteten Untergrund geschlagen war und nachträglich mit Steinen und lockerer Erde verfüllt war, in der sich nur wenige antike Funden befanden. Er kann mit den Grabungsarbeiten des 19. Jhs. unter Max Ohnefalsch-Richter in Zusammenhang gebracht werden. Zusammen mit einem weiteren historischen Suchschnitt, der bereits 2020 als solcher erkannt wurde, dokumentiert er anschaulich die Arbeitsweise des Leipziger Altertumsforschers. Die neu entdeckten Mauern sind nicht mit den damals dokumentierten Strukturen zu identifizieren – ihr Verlauf ist nicht mit dem publizierten Steinplan in Einklang zu bringen, so dass die Grabung bereits im ersten Jahr bislang unbekannte antike Bereiche aufdecken konnte, die zeigen, dass das Heiligtum weitaus großflächiger war, als aufgrund des 1891 veröffentlichten Plans angenommen werden konnte.
Die Analyse des Mauerverbundes ließ es zu, mehrere antike Bau- und Nutzungsphasen zu unterscheiden. Ihre Interpretation und Datierung sind beim derzeitigen Stand der Forschung noch schwierig. Sie zeigen aber, dass der Ort eine längere und komplexe antike Geschichte besitzt, auf die auch das zeitliche Spektrum der Funde verweist, die von archaischer bis hellenistischer Zeit reichen.
Statuenfragmente und seltene Importwaren
Der Charakter der Funde zeigt zudem, dass dieses Areals tatsächlich Teil des antiken Heiligtums war. So wurde eine ganze Reihe von Fragmenten antiker Statuen aus Terrakotta und Kalkstein gefunden, die auf eine intensive Nutzung des Kultplatzes und ein reges Votivwesen hinweisen. Darunter befinden sich nicht nur Reste von kleinen Statuetten, sondern auch mehrere Fragmente großformatiger Statuen, etwa das Unterteil einer mindesten halblebensgroßen Statue. Zudem wurde eine massive Kalksteinbasis einer lebensgroßen Figur geborgen. Ein besonderes seltenes Artefakt stellen die Reste eines Straußeneis dar, das als exotisches Importstück ein exklusives und kostbares Weihegeschenk darstellte. Es zeugt von der besonderen Anziehungskraft des Heiligtums und seines ursprünglichen Reichtums.
In welcher Beziehung diese Baureste und Funde zu dem Kern des Heiligtums stehen, den Ohnefalsch-Richter aufgedeckt hatte, kann nur mit Hilfe weiterer Grabungen eruiert werden. Die Größe der bislang freigelegten Anlage, ihre komplexe Baugeschichte und die Beschaffenheit der Funde zeigt aber bereits jetzt das große Potential dieses Platzes an: Gerade Nutzungsveränderungen und ‑entwicklungen bieten wichtige Hinweise für die Analyse kultureller Zusammenhänge und antiker ritueller Praktiken. Daher ist eine Fortsetzung der Grabungen im kommenden Jahr geplant.