Seit 2020 fördert AMRICHA ein Projekt der Universitäten Frankfurt und Kiel, das sich der Erforschung des Apollon-Heiligtums von Frangissa (Tamassos) widmet. Es verfolgt das Ziel, durch eine sorgfältige Ausgrabung und Dokumentation nach modernen Standards exemplarisch die Geschichte, räumliche Strukturierung und rituelle Nutzung eines ländlichen zyprischen Kultplatzes aufzuarbeiten.
Die Vorgeschichte des Projektes
Als in Leipzig 1891 der deutsche Archäologe Max Ohnefalsch-Richter mit einer Arbeit über zyprische „Cultusstätten“ promoviert wurde, konnte er 72 Heiligtümer auflisten, die sich über die ganze Insel verteilten. Aufgrund der ungestörten Erhaltung und der überaus reichen Funde bezeichnete er dabei das Heiligtum des Apollon in Frangissa als das bedeutendste unter ihnen. Diese Fundstätte, die im Landesinneren, nahe der antiken Stadt Tamassos liegt, hatte er selbst 1885 entdeckt und im Rahmen einer nur 17 Tage dauernden Ausgrabungskampagne untersucht. Über 500 Statuen aus Kalkstein oder Terrakotta, teilweise von kolossaler Größe mit weit über 3 Metern Höhe und oft von hoher künstlerischer Qualität und hervorragender Erhaltung, hatte er dabei aufdecken können. Die Ergebnisse seiner Grabung wollte er im Rahmen einer ausführlichen und reich illustrierten Publikation veröffentlichen. Aus verschiedenen Gründen ist es jedoch dazu nie gekommen. In der Leipziger Dissertation von 1891 publizierte er lediglich einen Grundriss, der die Gestalt des Heiligtums wiedergibt: Es handelte sich um einen von Mauern umfriedeten, offenen Hof mit einem zentralen Gebäude mit halbrunder Apsis, der seiner Deutung nach als überdachter Hauptkultraum anzusprechen ist. In seinem zwei Jahre später erschienenen zweibändigen Werk „Kypros, die Bibel und Homer“ veröffentlichte Ohnefalsch-Richter zusätzlich zwei kleine Kalksteinfigürchen, die jedoch nur schwerlich den Eindruck vom Reichtum des Fundmaterials vermitteln konnten. Die bedeutendsten Funde konnten aufgrund des damals geltenden Rechts außer Landes geschafft werden und verschwanden weitgehend von der Bildfläche. Die auf Zypern verbliebenen Fundstücke selbst verloren bei einer Neuorganisation des Museums ihre Fundortzuschreibung und lassen sich deshalb in den reichen Beständen des Cyprus Museums nur zu einem kleinen Teil identifizieren. Die Ausgrabungsstätte von Frangissa schließlich, die unmittelbar nach Abschluss der archäologischen Arbeiten 1885 wieder verfüllt und eingeebnet wurde, geriet alsbald in Vergessenheit. Bis vor kurzem galt die genaue Lage des Platzes als unbekannt und in der wissenschaftlichen Literatur wurden verschiedene widersprüchliche Lokalisierungen angegeben.
Ein Forschungsprojekt von Dr. Matthias Recke (Goethe-Universität Frankfurt) hat sich zum Ziel gesetzt, die Statuenfunde des Heiligtums zu identifizieren und zu publizieren. Bislang konnten Objekte aus Frangissa in sieben verschiedenen Museen weltweit ausfindig gemacht und so über 80% des Fundmaterials wieder zusammengetragen werden. Bei der Bearbeitung der Funde stellte sich aber schnell heraus, dass ein umfassendes Bild von der Geschichte dieses bedeutenden Heiligtums nur dann erstellt werden kann, wenn auch der Ort selbst erneut erforscht und die zugeschüttete Ausgrabung wieder aufgedeckt wird.
Die Auswertung von Archivmaterialien aus deutschen, englischen und kanadischen Archiven und intensive Begehungen auf Zypern selbst erlaubten es, die Lage des Heiligtums auf ein schmales Tal im Südwesten der modernen Ortschaft Pera Orinis einzugrenzen. Da im Gelände aber keine sichtbaren Reste mehr vorhanden waren, konnte der genaue Standort auf diese Weise nicht bestimmt werden. Die vorläufigen Ergebnisse machten aber berechtigte Hoffnungen, dass mit modernen Untersuchungsmethoden der Platz der alten Grabung wiedergefunden und eine erneute Freilegung in Angriff genommen werden könnte.
Als es im April 2019 zu einem ersten Kontakt zwischen AMRICHA und Dr. Matthias Recke kam, stellte sich bald heraus, dass hier Potential für eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Leipzig und Frankfurt besteht, und so wurden bereits für das kommende Jahr Arbeiten vor Ort geplant. Als weitere Kooperationspartner für die Durchführung einer ersten Prospektionskampagne konnten in der Folge die Universitäten von Kiel und Nikosia gewonnen werden.
Fragestellung und Zielsetzung
Das Projekt hat die Aufarbeitung und Dokumentation der alten Grabung von 1885 nach modernen Standards zum Ziel.
Eine erneute Untersuchung dieses Fundplatzes ist aus verschiedenen Gründen sehr wünschenswert. So geht aus dem Grabungsbericht von Ohnefalsch-Richter hervor, dass die zahlreichen, in-situ vorgefundenen Basen der Figuren vor Ort verblieben sind, als das Areal nach Ende der Ausgrabungen wieder verfüllt wurde. Eine detaillierte Aufnahme dieser Statuenbasen und insbesondere ihrer Standspuren verspricht daher, dass die Zusammengehörigkeit von Figuren und ihren ursprünglichen Basen und damit die chronologische Abfolge ihrer Aufstellung erkannt werden kann. Dies würde völlig einzigartige Einblicke in die Weihpraxis und die räumliche Strukturierung eines Heiligtums ergeben, die in dieser Weise auf Zypern bislang an keiner einzigen Stelle vorliegen.
Aus den erhaltenen Unterlagen der Grabung ergibt sich zudem, dass das Heiligtum nicht vollständig freigelegt worden ist. Suchschnitte, die in einer flüchtigen Skizze dokumentiert sind, zeigen die ungefähre Ausdehnung, die offenbar weit über den ausgegrabenen Bereich hinausgeht. Entsprechend besteht die Hoffnung, die Aufarbeitung der Altgrabung in der Zukunft durch neue Ausgrabungen weiterer Heiligtumsareale zu ergänzen. Besondere Aufmerksamkeit wird hierbei auch der Keramik gelten, denn bei den Grabungen Ohnefalsch-Richters wurde diese Gattung völlig ignoriert; es ist bislang keine einzige Scherbe aus Frangissa bekannt! Eine sorgfältige Analyse der Fundkeramik und ihrer Stratifizierung soll weitreichende Aufschlüsse über die zeitliche Entwicklung und die rituelle Nutzung des Heiligtums ermöglichen.
Ausblick
Die von AMRICHA nicht nur finanziell, sondern auch personell geförderten Unternehmungen haben klar die Lokalisierung des 1885 von Ohnefalsch-Richter entdeckten und in einer Notgrabung untersuchten Apollon-Heiligtum von Frangissa bestätigt. Im Zuge dieser ersten Kampagne 2020 wurde bereits ein Vermessungsnetz aufgebaut und das GIS-System angelegt. Durch Überfliegung des gesamten Areals mittels einer Drohne wurde ein georeferenziertes 3D-Modell des Tals erstellt und die Grundlage für eine Höhenkarte gelegt. Unsere Absicht ist, im Frühjahr 2021 dort mit einer regulären Ausgrabung zu beginnen.
Die technische Unterstützung wird dabei wieder von AMRICHA übernommen, das auch die restauratorischen Arbeiten betreuen wird (Alexander Gatzsche M.A.). Von Seiten der Universitäten Frankfurt (Dr. M. Recke) und Kiel (PD Dr. P. Kobusch) ist geplant, die Ausgrabungen im Rahmen einer Field School durchzuführen, um so gleichzeitig Studierenden der Klassischen Archäologie einen Einblick in die praktische Feldarbeit, verbunden mit modernsten Methoden der Digitalisierung und Dokumentation, zu ermöglichen. Dabei sind wir wiederum für die Unterstützung seitens des Department of Antiquities Cyprus und der University of Cyprus dankbar, die nicht nur die Kampagne 2020 tatkräftig unterstützt haben, sondern auch Perspektiven für ein langfristigeres, wissenschaftlich bedeutsames und erfolgversprechendes Projekt bieten.
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