Die Ergebnisse der Ausgrabungen in Frangissa aus dem Jahr 2023 sind wegweisend und markieren einen wichtigen Erfolg der langjährigen Unternehmungen. Endlich konnten Mauerreste und Strukturen entdeckt werden, die Max Ohnefalsch-Richter bereits Ende des 19. Jhs. ausgegraben und in einem Plan dokumentiert hatte. Damit stehen die über 140 Jahre lang als verschollen geltenden Heiligtumsstrukturen von Frangissa nun einer kritischen Revision zur Verfügung. Gleichzeitig können sie erstmalig mit den in den letzten Jahren neu gefundenen Baukomplexen in Verbindung gebracht werden. Auf diese Weise kann der Aufbau des Gesamtkomplexes inzwischen wesentlich besser verstanden werden.
Bereits in den vergangenen Kampagnen wurden wichtige Zwischenschritte zur Lokalisierung und Wiederauffindung des 1885 entdeckten Heiligtum von Frangissa erreicht, wie in den hier verlinkten Berichten nachgelesen werden kann: Nachdem durch die Analyse der Funde der vorbereitenden Survey-Kampagne 2020 klar geworden war, dass sich im Untersuchungsgebiet ein antikes Heiligtum befunden haben musste, wurden 2021 gleich zu Beginn der Ausgrabung erste architektonische Reste gefunden. Trotz ihrer guten Erhaltung ließen sich die Mauerzüge jedoch nicht mit dem Plan der Grabung von 1885 in Einklang bringen. Dass tatsächlich der Ort des berühmten Apollon-Heiligtums von Frangissa wiederentdeckt worden war, wurde 2022 durch Funde von Terrakottafragmente bestätigt, die Bruch an Bruch an Votivstatuen anpassten, die Ohnefalsch-Richter 1885 ausgegraben hatte. Gleichzeitig wurde aber klar, dass die umfangreichen architektonischen Strukturen, die zu einem weitläufigen Gebäude von mindestens 14 x 20 m gehörten, ungestört von neuzeitlichen Eingriffen waren und hier ein bislang unbekannter Komplex entdeckt worden war, dessen Untersuchung die Chance bot, einzigartige Einblicke in die Strukturen des antiken Heiligtums zu erhalten.
Auf Grundlage dieses Erkenntnisstands waren die Forschungsziele für 2023 klar definiert:
- die genaue Lokalisierung des 1885 ausgegrabenen „Weihgeschenk-Hofes“,
- die vertiefte Erforschung des neu entdeckten Architekturkomplexes – insbesondere im Hinblick auf sein genaues Aussehen und seine Funktion.
- die Klärung des räumlichen und funktionalen Verhältnisses der beiden Architekturkomplexe.
Die Kampagne unter Leitung von Dr. Matthias Recke (Universität Frankfurt) und PD Dr. Philipp Kobusch (Universität Kiel) dauerte vom 6. September bis zum 7. Oktober 2023. Beteiligt waren neben Studierenden der Universität Frankfurt und Kiel auch Studenten der Cyprus University in Nicosia. Ergänzt wurde das Team durch eine Archäologin aus Zypern, Dr. Thea Christoforou, sowie durch das bewährte Team der Restauratoren Irene Pamer-Gatzsche und Alexander Gatzsche (AMRICHA Leipzig); letzterer unterstütze die Arbeiten auch durch seine technische Expertise (Drohnen-Fotographie; 3D-Scanning). Die Bestimmung der Tierknochen erfolgte durch Dr. Angelos Hadjikoumis (Cyprus Institute), die der Fundkeramik durch Dr. Anna Georgiadou (University of Cyprus). Allen Beteiligten gilt unser herzlichster Dank.
Zu den wichtigsten Erfolgen der Kampagne 2023 gehörte die Freilegung eines diagonal zu den bislang freigelegten Bauresten verlaufenden Mauerzugs. Die Entdeckung einer massiven Statuenbasis am Kopfende dieser Mauer ermöglichte aufgrund ihrer einzigartigen, charakteristischen Form mit profilierter Einlassung und lateralen Vorsprüngen endlich den lang ersehnten Abgleich mit der Grabung von 1885: Die Basis ist in ihrer unverkennbaren Form auf dem Steinplan von Ohnefalsch-Richter genau an dieser Stelle eingezeichnet. Dadurch ist es nun möglich, den alten Plan korrekt auszurichten und die weiteren Schritte zur Freilegung des Statuenhofs zu planen. Die Freilegung des bereits ergrabenen Bereichs stellte sich als aufwändiger heraus als gedacht, da Ohnefalsch-Richter – wie er auch in seinen Berichten angibt – Teile des Mauerwerks auf der Suche nach Inschriften hatte einreißen lassen. Im Schutt der Mauern und der Zuschüttung des alten Grabungsareals finden sich zahlreiche Reste von Votivstatuen und Terrakotten, so dass auch hier eine sehr sorgfältige Arbeitsweise bei der Freilegung notwendig ist.
Die Auswertung der bislang bekannten Information zeigt nun folgendes Bild: Das Heiligtum, das noch sehr viel größer war als bislang angenommen wurde, bestand aus zwei direkt aneinander angrenzenden Bereichen, die ganz unterschiedliche Funktionen erfüllten. Der 1885 von Max Ohnefalsch-Richter dokumentierte offene Hof diente als Aufstellungsort der Weihgeschenke in Form von Statuen aus Kalkstein und Terrakotta — zum Teil von weit überlebensgroßem Format. Hier befanden sich zudem ein geschlossener Kultraum und der Altar, an dem die Opfer für den Gott Apollon dargebracht wurden. Eine überraschende Erkenntnis war die Beobachtung, dass die dicht an dicht aufgestellten Weihgeschenk-Statuen an dem nach Süden ansteigenden und von der Umfassungsmauer ansatzweise eingeschlossenen Berghang teilweise auf gemauerten, ansteigenden Stufen standen und sich dem Besucher wie in einem Theater präsentierten. Dadurch entstand das Bild einer dichten Staffelung der Votive, ohne dass deren Sichtbarkeit und Wirkung eingeschränkt wurde. Offenbar standen alte Weihgeschenke der archaischen Zeit (7.–6. Jh. v. Chr.) neben Votiven der Klassik oder des Hellenismus (5.–1. Jh. v. Chr.). Inwieweit dies das Ergebnis einer sukzessiven Platzierung der Statuen war oder möglicherweise das Resultat einer Neuarrangierung in hellenistischer Zeit widerspiegelt, wird die vollständige Freilegung des Areals beantworten können.
Östlich von diesem kultisch geprägten Hof erstreckt sich ein großes Gebäude mit vier umlaufenden Hallen, das nach Aussage der Funde für rituelle Festbankette zu Ehren Apollons genutzt wurde. Die zum Hof hin offenen Hallen mit regelmäßigen Stützenstellungen boten gleichzeitig den Besuchern dieses ländlichen Heiligtums Schutz vor Sonne und Regen. Denkbar ist auch, dass die Besucher hier im Schutz der Dächer übernachten konnten.
Die Analyse der Fundstücke der Ausgrabungskampagne 2023 erbrachte ebenfalls überraschende Ergebnisse. So ist neben dem berühmten „Koloss von Tamassos“, der eines der monumentalsten Ausstellungsstücke des Cyprus Museums in Nicosia ist und 1885 in situ im Apollonheiligtum von Frangissa gefunden wurde, eine weitere Figur entsprechender Größe nachzuweisen. Bislang sind hiervon 2023 nur wenige Fragmente gefunden worden, doch können sie durch anpassende Funde aus der Grabung von 1885 ergänzt werden.
In einem eng mit den Ausgrabungen verbundenen Forschungsprojekt der deutschen Archäologen konnten im März und April 2024 die meisten der in den internationalen Museen befindlichen Stücke der Ausgrabung von 1885 digital gescannt werden. Dies ermöglicht, künftig zusammengehörige Stücke schneller zu identifizieren, insbesondere die in den kommenden Jahren neu gefundenen Votive, und anstelle einer Fülle einzelner Bruchstücke ein umfassendes Bild vom Spektrum der Votive und vom Votivwesen dieser Zeit generell zu erhalten. So ist es nun beispielsweise möglich, den physischen Nachweis der Zugehörigkeit einzelner Köpfe und Körper auch durch Anpassungen von 3D-Replikaten mit Originalfundstücken zu erbringen
Die Fortsetzung der Arbeiten verspricht vielfältige vertiefende Einblicke in das rituelle und soziale Leben des antiken Zyperns. Das Grabungsprojekt erlaubt es in besonderer Weise, die funktionelle Strukturierung eines solchen Heiligtums nachzuvollziehen. Daher sollen die Arbeiten auch in diesem Jahr weitergeführt werden. Die Untersuchungen wurden bislang großzügig durch das Alexander Malios Forschungsinstitut zur zypriotischen Archäologie und Kultur Leipzig gefördert, deren Direktor Alexander Malios auch für das laufende Jahr wieder eine substantielle Unterstützung zugesichert hat.